Wie ich Figuren wie Nick, Lucy & Co entwickle

Figuren sind für mich das Herz jeder Geschichte. Orte, Musik, Stimmungen – all das kann noch so schön sein: Wenn die Menschen darin nicht lebendig wirken, bleibt der Roman am Ende flach.

In meinen Büchern – gerade in der Reihe um Nick, Lucy & Co – sind die Figuren deshalb nie „zufällig“ da. Sie haben fast immer eine Geschichte, die weit über das hinausgeht, was im fertigen Text steht.


Reale Vorbilder – aber keine Eins-zu-eins-Kopien

Für nahezu alle meine Figuren gibt es reale Vorbilder. (In der Danksagung von Go Your Own Way erwähne ich das auch explizit.)

Manchmal ist es:

  • das Aussehen,
  • manchmal eher Charakterzüge,
  • manchmal nur ein Beruf oder ein Hobby,
  • manchmal eine einzelne Geste oder eine typische Art zu reden.

Aber: Schon bevor der eigentliche Schreibprozess beginnt, entwickeln diese Figuren in meinen Gedanken ein Eigenleben – und entfernen sich dabei oft weit von den Menschen, die mich ursprünglich inspiriert haben.

Aus „der Kommilitone, der immer seine Gitarre dabeihatte“ wird vielleicht ein Schlagzeuger. Aus „der Freundin, die sich nie entschieden hat, was sie studieren soll“ wird eine hochfokussierte junge Frau, die alles durchplant – aber innerlich trotzdem genauso zweifelt.

Die realen Vorbilder sind also eher Startpunkte als Schablonen. Sobald die Figuren im Roman angekommen sind, haben sie das Recht, sich anders zu verhalten als ihre „Originale“.


Lebensläufe auf der Festplatte

Damit dieses Eigenleben nicht in völliges Chaos ausartet, arbeite ich im Hintergrund ziemlich strukturiert.

Zu nahezu allen Haupt- und Nebenfiguren gibt es bei mir einen Lebenslauf auf der Festplatte. Kein offizielles Bewerbungsdokument, sondern eher ein sehr ausführlicher Steckbrief, der z.B. enthält:

  • soziale Herkunft (Woher kommt die Person? Dorf? Stadt? Welche Milieus?),
  • Familie (Eltern, Geschwister, wichtige Bezugspersonen),
  • Hobbys und Interessen,
  • Erfahrungen und wichtige Erlebnisse,
  • kleine Anekdoten,
  • wie einzelne Figuren sich kennengelernt haben.

Viele dieser Infos tauchen im Roman nie direkt auf. Aber sie sorgen dafür, dass ich die Figuren „von innen heraus“ verstehe.

Wenn ich weiß, wie jemand aufgewachsen ist, wem er oder sie schon mal das Herz gebrochen hat, welches große Ziel im Hintergrund tickt – dann fällt es mir leichter zu entscheiden, wie diese Person in einer Szene reagiert: ob sie kontert, schweigt, ausweicht, lacht, übertreibt oder ehrlich wird.

Außerdem hilft mir dieser Lebenslauf, auch nach Wochen oder Monaten noch genau zu wissen, wie ich die Figur ursprünglich konzipiert habe. Gerade bei längeren Projekten ist das Gold wert.


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – auch für mich

Neben Text brauche ich noch etwas anderes, damit Figuren für mich wirklich „da“ sind: Bilder.

Für alle wichtigen Figuren lasse ich mir Bilder erstellen – inzwischen meistens mithilfe von KI. Das läuft oft so:

  • Ich nehme die Beschreibung, die im Roman beim ersten Auftritt der Figur steht.
  • Diese Beschreibung lade ich bei einer Bild-KI hoch.
  • Ich bitte die KI, mir auf dieser Grundlage ein Porträt oder eine Szene mit der Person zu erzeugen.

Das hat gleich mehrere Effekte:

  1. Check: Habe ich genug beschrieben?
    Wenn die KI mir ein Bild liefert, das so gar nicht zu meinem inneren Bild passt, frage ich mich:
    Habe ich im Text wirklich das erwähnt, was mir wichtig ist?
    Oder weiß ich zwar, dass die Figur Sommersprossen, abgewetzte Chucks und ein bestimmtes Lächeln hat – aber habe ich es den Leser:innen überhaupt mitgeteilt?
  2. Bessere Vorstellung im Schreiballtag
    Ein Bild hilft mir, eine Figur beim Schreiben „im Raum zu sehen“: Wie steht sie da? Wie sitzt sie? Welche Körperhaltung hat sie?
    Das sorgt dafür, dass Gestik und Mimik im Text stimmiger werden.
  3. Emotionale Nähe
    Wenn ich ein passendes Bild gefunden habe, fühlt sich die Figur für mich oft noch realer an. Ich sehe „Nick“ oder „Mike“ dann nicht mehr nur als Buchstabenfolge, sondern als jemanden, der mir auf Fotos und in Szenen begegnet.

Die KI ersetzt dabei keine Fantasie – sie ist eher ein Spiegel: Sie zeigt mir, was ich bislang wirklich formuliert habe, und wo ich in meinem Kopf mehr weiß, als auf dem Papier steht.


Wenn Figuren ihr Eigenleben entwickeln

Spannend wird es immer dann, wenn Figuren anfangen, Dinge zu tun, die ich gar nicht geplant hatte.

Vielleicht kennst du das Klischee vom Autor, der sagt: „Meine Figuren machen irgendwann, was sie wollen.“
Klingt esoterisch – ist aber gar nicht so gemeint.

Wenn ich eine Figur lange genug „füttere“ – mit Biografie, Bildern, typischen Reaktionen –, dann wird irgendwann klar, was sie in einer bestimmten Situation niemals tun würde. Oder was sie auf jeden Fall tun würde, auch wenn mir als Autor das Leben dadurch schwerer gemacht wird.

  • Vielleicht wollte ich, dass jemand im entscheidenden Moment cool bleibt – aber alles in mir schreit: „Nein, diese Person flippt hier aus!“
  • Oder ich hatte eine Romanze geplant, aber die Chemie zwischen zwei Figuren fühlt sich beim Schreiben einfach nicht stimmig an.

Eine kleine Anekdote hierzu: Vor ein paar Tagen lief in meiner Küche das Radio und ich dachte mir: „Chris würde das Klaviersolo ganz anders spielen.“ Dann versuche ich, nicht gegen diese innere Logik anzuschreiben, sondern ihr zu folgen.
Denn sobald ich anfange, Figuren nur noch wie Schachfiguren zu verschieben, merkt man das dem Text irgendwann an.


Was das für Nick, Lucy & Co konkret bedeutet

Nick, Lucy, Miriam, Jonas, Chris, Mike und all die anderen sind also Mischwesen:

  • ein Teil echte Menschen,
  • ein Teil Fiktion,
  • ein Teil „Was wäre, wenn…?“,
  • plus ein großer Teil Wirkung dessen, was beim Schreiben passiert.

Vielleicht erkennst du dich irgendwann in einer Nebenfigur wieder – in einer Vorliebe für ein bestimmtes Getränk, einer Art zu sprechen, einer Haltung zur Welt. Dann ist das kein Zufall.

Aber es bedeutet nicht, dass irgendjemand eins zu eins „abgebildet“ wird.
Es sind immer neue Figuren, die sich in dieser Romanwelt bewegen, mit eigener Geschichte und eigener Entwicklung.


Und für Leser:innen?

Für dich als Leser:in heißt das:

  • Hinter jeder Figur steckt mehr, als auf den Seiten steht.
  • Manches davon wirst du beim Lesen spüren, ohne dass es direkt erklärt wird.
  • Und manches bleibt bewusst unsichtbar – aber es hilft mir, dass sich die Figuren anfühlen, als würden sie auch dann weiterexistieren, wenn das Kapitel zu Ende ist.

Wenn du Lust hast zu sehen, wie sich das konkret anfühlt:
Auf der Leseproben-Seite findest du eine Szene mit Nick und Miriam am Strand – zwei Figuren, die beide eine lange „unsichtbare“ Vorgeschichte auf meiner Festplatte haben.

Vielleicht liest du sie ja mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass jede Figur ein kleines geheimes Dossier hat – und dass genau das sie lebendig macht.